Kolumne NES vs. NLS: Wenn der Wahnsinn keine Grenzen kennt

Es ist einfach nur noch irre: Die Situation zwischen NLS und NES stellt alles in den Schatten - Ein Versuch, die Beweggründe des Wahnsinns nachzuvollziehen

Titel-Bild zur News: Nürburgring-Nordschleife, Klostertal, Karussell, Steilstrecke, Panorama, Sonnenuntergang

Der Langstrecken-Krieg auf der Nordschleife hat die Grenze jeglicher Vernunft schon lange überschritten Zoom

(Motorsport-Total.com) - Liebe Freunde der "Grünen Hölle",

es ist längst keine Übertreibung mehr: Was wir derzeit am Nürburgring im NLS-NES-Konflikt erleben, ist beispiellos. Wir sind Zeugen einer motorsportlichen Realsatire. Anders kann man es nicht mehr beschreiben. Appelle an die Vernunft hat es zur Genüge gegeben, aber mit Vernunft wird hier schon lange nicht mehr gehandelt.

Das gipfelte am vorletzten Dienstag in einer Pressemitteilung der Nürburgring-Endurance-Series (NES), die es in sich hatte. Offene Vorwürfe, der ADAC und die Nürburgring-Langstrecken-Serie (NLS) würden die eigene Serie am Gedeihen hindern, waren starker Tobak.

So etwas habe ich in meinem Journalistenleben noch nicht erlebt. Viele Telefonate mit PR-Experten waren nötig, um das erst einmal einzuordnen. Und um es kurz zu machen: Die haben so etwas mit teilweise 30 Jahren Berufserfahrung auch noch nicht erlebt.

Es ist nicht der erste Krieg zwischen zwei Rennserien auf deutschem Boden. Man denke nur an die Grabenkämpfe in den historischen DTM-Serien oder auch zwischen der DTM und anderen Tourenwagenserien in der Vergangenheit. Aber eine so konsequente Opferinszenierung hat es damals auch nicht gegeben.

Es ist keineswegs so, dass hier Amateure "Mimimi" machen. Die NES hat sich ein Trio von ausgewiesenen Kommunikationsexperten ins Boot geholt, die schon für Hersteller gearbeitet haben. Das war eine ganz bewusste Botschaft, die man so noch nicht gesehen hat.

Was bedeutet das? Was soll damit erreicht werden? Die meisten meiner Gesprächspartner sind der Meinung, dass die NES hier eine Exit-Strategie vorbereitet. Denn ein Scheitern der Serie ist inzwischen eine realistische Option.


Fotostrecke: Streit um Langstreckensport am Nürburgring: Die Gemengelage erklärt

Die NES steckt in einer Zwickmühle: Für ein Rennen auf der Nordschleife stehen derzeit nicht genügend Sportwarte für die Streckenposten zur Verfügung. Auf der Grand-Prix-Strecke hingegen will niemand Rennen fahren, wie wir am vergangenen Wochenende gesehen haben.

Es ist also wahrscheinlich, dass hier eine Mehrspurstrategie gefahren wird. Wenn die NES scheitert, dann hat man bereits deutlich gemacht, woran es liegt. Nämlich an allen anderen, nur nicht an einem selbst. Das ist zumindest konsistent mit der bisherigen Kommunikation, wo auch immer wieder "Gerüchte von außen" gestreut wurden und Ähnliches. Und wenn man doch die Kurve kriegt, dann eben gegen alle Widerstände.

NES2: "Make or break"-Moment für die Serie

Wenn sie überhaupt bis dahin durchhält, wird NES2 über die Zukunft der NES entscheiden. Zunächst geht es darum, die notwendige Anzahl von Sportwarten zu bekommen. Derzeit versucht man dies mit einer sukzessiven Erhöhung der Tagessätze, für NES1 hat man bei 100 Euro gelegen, bei der NLS waren es im vergangenen Jahr noch deren 60. Tendenz nach oben? Offen. Motto: Jeder ist käuflich.

Nur die Teilnehmer nicht. Ein anständiges Feld zusammenzubekommen, ist die zweite große Herausforderung. Das wäre beim letzten Rennen vor dem 24-Stunden-Rennen noch leichter als danach, aber die Resonanz auf das erste Rennen hat schon gezeigt, welches Ansehen die NES bei den Teilnehmern genießt. So viel Widerstand von unten habe ich im Motorsport noch nie erlebt.

Seit ihrer Gründung hat die NES mit einem beispiellosen Gegenwind zu kämpfen. Nahezu alle Teams, Fahrer und viele Fans machen keinen Hehl daraus. Im Internet liest man von der "Nicht Erwünschten Serie" und es gibt offene Anfeindungen gegen die Initiatoren eben dieser. Die NES wird an der Basis als invasiv empfunden und als Versuch, die altehrwürdige NLS zu zerstören.

Unter jedem NES-bezogenen Posting des Nürburgrings in den sozialen Medien gibt es mittlerweile einen Shitstorm von Fans, die die Rennserie beschimpfen. Die NES selbst hat aus gutem Grund die Kommentarfunktion auf Facebook von vornherein abgeschaltet.

Auf Seiten der Teilnehmer sieht es nicht anders aus: Ich habe bei den Einstellfahrten kein Team getroffen, das die NES für eine tolle Sache hält. Außer denen, die selbst direkt oder indirekt mit der Serie zu tun haben.

Man ist bei den Einstellfahrten mitgefahren, weil es sonst keine Möglichkeit gab, so ausgiebig zu testen. Es gibt auch noch kein Team, das sich offiziell zu einer NES-Saison bekannt hat - im krassen Gegensatz zu NLS, die derzeit täglich ihre Teams bekannt gibt und damit Salz in die Wunde streut. Und jetzt stellt sich die NES hin und schiebt die Schuld auf den ADAC und die NLS.

Versuchen wir es mit einer Analogie: In meiner Stadt gibt es ein Fünf-Sterne-Restaurant. Jetzt geht der Vermieter hin und eröffnet direkt gegenüber sein eigenes, konkurrierendes Restaurant. Er installiert einen geschassten Chefkoch, den das alte Restaurant nicht mehr wollte, und nimmt gleich noch ein paar Mitarbeiter mit.

Und jetzt beschwert man sich offen darüber, dass das ursprüngliche Restaurant den Mitarbeitern deutlich macht: Wenn ihr da drüben arbeitet, dürft ihr hier nicht mehr arbeiten.

Gut gemeint ist das Gegenteil von gut gemacht

Es ist traurig zu sehen, wie dieser gnadenlose Machtkampf auf dem Rücken der Teilnehmer ausgetragen wird. Dabei waren die Absichten der NR Holding durchaus edel, wie mir mehrere Informanten bestätigten, die bereits mit dem Chef Wiktor Martin zusammengearbeitet haben.

So sei es durchaus sein Ziel gewesen, den Breitensport langfristig zu erhalten. Und das glaube ich ihm. Denn wie man es auch dreht und wendet: Die Nürburgring 1927 GmbH & Co. KG hat in zehn Jahren fast 30 Millionen Euro in den Erhalt der Rennstrecke investiert und dringend notwendige Modernisierungen vorgenommen, zum Beispiel an den Streckenposten.

Dennoch: Die NES vermittelt derzeit gegenüber den Teilnehmern den Eindruck: "Seht her, wir machen das nur für euch, warum erkennt ihr das nicht endlich an?" Man will sich als Retter der "Kleinen" inszenieren, die der ADAC angeblich weg haben will, und tut mit seiner Politik doch alles, um die Kleinen komplett zu vertreiben. Etwa mit dem Punktesystem.

Die Struktur der VLN mit ihren zum Teil gemeinnützigen Vereinen, die die Einnahmen aus der Rennserie zeitnah ausgeben müssen - zum Beispiel für ein neues Kart in der Jugendkartgruppe -, weil sie sonst Mehrwertsteuer nachzahlen müssten, wurde auch von Ralph-Gerald Schlüter und Peter Bonk als nicht mehr zeitgemäß empfunden. Auch hier mag die Intention nobel gewesen sein, eine langfristig gute Lösung zu finden.

Opel Astra

Opel Astra mit NES-Startnummer: Wird die AvD-Serie jemals ein Rennen fahren? Zoom

Das Problem ist nur: Wann immer man anderen Menschen sagt, was für sie am besten ist, stößt man auf große Ablehnung. Auch mit guten Absichten. Das sollte uns in den westlichen Ländern nicht zuletzt nach den weltpolitischen Ereignissen der vergangenen 25 Jahre klar sein. Wer versucht, anderen Menschen zu aufzuzwingen, was für sie das Beste ist, wird als anmaßend empfunden und bekämpft.

Und genau das ist passiert. Mittlerweile ist die NES der Versuch, mit 150 Prozent Brechstange den Teilnehmern ein Produkt aufzudrücken, von dem man selbst überzeugt ist, dass es die einzige Lösung für die Zukunft ist.

Das mag auch daran liegen, dass die NES nicht für den Wettbewerb geplant wurde. Sie war als Monopolserie geplant, doch die NLS hat sich gewehrt. Und selbst die Befürworter der NES müssen zugeben, dass die Umsetzung der gut gemeinten Absichten durch die NR Holding alles andere als gut war.

Der erste Fehler war, von Anfang an auf Ralph-Gerald Schlüter zu setzen - ein Name, der bei vielen Teams bereits verbrannt war. Ob nun gerechtfertigt oder nicht, sei einmal dahingestellt. Aber wenn ein Großteil des Fahrerlagers froh ist, ihn losgeworden zu sein, und er nur wenige Monate später wieder Geschäftsführer eines neuen Konstrukts werden soll (das 51-25-24-Konstrukt aus dem Frühjahr 2023), dann ist es kein Wunder, dass das bei den Teilnehmern schlecht ankommt.

Bleibt die Frage, ob Wiktor Martin und Michael Lemler einfach nicht wussten, welchen Ruf Schlüter bei den Teilnehmern hatte, oder ob sie es wussten und ihn den Teams trotzdem vor die Nase setzen wollten. Beides würde kein gutes Licht auf die NR Holding werfen.

NES wird nur ohne NLS funktionieren

Der zweite Fehler war dann, die VLN mit Gewalt loswerden zu wollen. Dass dies beim konservativen Nürburgring-Publikum als feindseliger Akt aufgenommen werden würde, lag auf der Hand. Dass man dann auch noch die Rechtslage rund um das Nürburgring-Gesetz dermaßen falsch einschätzte, war die Krönung.

Das erste Urteil im September wäre für alle Seiten der perfekte gesichtswahrende Ausstieg gewesen. "Wir hätten es gekonnt, aber das Gericht hat uns nicht gelassen", hätte man sagen können. Man hätte einfach abwarten können, bis die VLN finanziell zusammenbricht, was ja die Erwartung der NES-Initiatoren war.

Doch man ging volles Risiko, obwohl alle Alarmglocken schrillten. Ohne Rücksicht auf Verluste wurde die Serie für 2024 durchgepeitscht. Laut der NES musste man das tun, weil sonst die Termine an die NLS gefallen wären.

Nun steht man mit einem Produkt da, das von den Teilnehmern nicht gewollt, von den Fans gehasst und völlig unausgereift auf dem Markt ist. Und man weiß sich offenbar nicht mehr anders zu helfen, als nun selbst mit allen Mitteln zu versuchen, die VLN in den Untergang zu treiben, der wider Erwarten noch nicht eingetreten ist.


Bauarbeiten auf der Nordschleife 2023/24

Das Ergebnis von etwas mehr als einem Jahr gut gemeint, aber schlecht gemacht: Die NR Holding hat durch ihren Ausstieg aus der NLS dem ADAC Tür und Tor geöffnet, ihr Hausrecht ist durch das Urteil massiv eingeschränkt, die Strecke dadurch im Wert gemindert worden, die VLN selbst ist durch ihren Überlebenskampf von einem zerrissenen Haufen zu einem homogenen Körper geworden. Mike Jäger kann sich schon jetzt als Retter des Sports inszenieren.

Die Frage ist natürlich, wie es weitergeht. Derzeit ist es kaum vorstellbar, dass die NES lebensfähig wird. Dass die Anmeldezahlen für ein Nordschleifenrennen nach dem 24h-Rennen (also ab NES3) die des abgesagten NES1-Rennens deutlich übersteigen, ist angesichts der Stimmung unter den Teilnehmern kaum vorstellbar.

ADAC ist nicht gleich ADAC, oder doch?

Und wie es mit der NLS weitergeht, ist noch offen. Zwar sind die drei ADAC-Regionalclubs vorerst nur offiziell als Sponsor eingestiegen. Nur: Wer die Zeche zahlt, bestimmt die Musik. Und die nächsten Jahre werden für die VLN extrem teuer.

Überall Prozesse, ein Starterfeld, mit dem man bestenfalls ein Plus-Minus-Null bei den Rennen einfahren kann, und ein feindlich gesinnter Vermieter der Strecke. Und welche Agenda der ADAC hier wirklich verfolgt, bleibt abzuwarten.

Hier sei angemerkt: Man darf den ADAC nicht als riesige Einheit sehen, die konzertiert vorgeht. Zwar sind mehr als 80 Prozent der Rennveranstaltungen am Nürburgring ADAC-Veranstaltungen. Aber diese werden von ganz unterschiedlichen Teilbereichen des ADAC organisiert. Und die sind sich zum Teil mit dem zentralen ADAC gar nicht einig.

Zur Einordnung: Der ADAC mit Sitz in München organisiert die DTM und das ADAC-Racing-Weekend. Das 24-Stunden-Rennen hingegen wird vom Regionalverein ADAC Nordrhein organisiert. Die GT-World-Challenge (GTWC) Europe und der Truck-Grand-Prix sind Veranstaltungen des ADAC Mittelrhein.

Mittelrhein, Nordrhein und Westfalen engagieren sich nun als Sponsor in der NLS, also zunächst unabhängig vom "DTM"-ADAC. Die NLS-Rennen mit "ADAC" im Namen werden wiederum von ADAC-Ortsclubs innerhalb dieser drei Regionalvereine organisiert. Die Argumentation der NR Holding hingegen ist, dass alles zusammen mit dem ADAC ein großes Kartell bildet. Die Wahrheit wird hier sicherlich, wie so oft, irgendwo in der Mitte liegen.

Der ADAC täte gut daran, auf die aktuelle VLN-Führung zu hören, gerade was das Thema "Kundenfreundlichkeit" angeht. Denn die Saison 2023 ist bei den Teilnehmern größtenteils sehr gut angekommen. Es wäre schade, wenn dieses zarte Pflänzchen den Angriff der NR Holding überleben würde, nur um dann vom ADAC zertrampelt zu werden.

Und welche Pfeile die NR Holding noch im Köcher hat, bleibt abzuwarten. Selbst wenn die NES scheitern sollte, ist der Grundkonflikt zwischen NR Holding und ADAC nicht aus der Welt. Rennserien kann man immer wieder gründen. Und im Alphabet sind noch genügend Buchstaben frei.

Euer


Gerald Dirnbeck

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